Franz Baldo

 

Heute wird jede menschliche Äußerung zuallererst als sprachlich eingebettet verstanden. Alles sei Sprache. Wichtiger als jede Handlung oder Wirkung ist die sprachliche Kontextualisierung: Kunstwerke werden überzeugend durch die Texte, die dazu geschrieben oder gesprochen werden. In extremen Fällen dient die Kunst nur noch der Illustration textlicher Zusammenhänge. Seit Charles Sanders Peirce (1839 - 1914) ist jedoch bekannt, dass Zeichen - oder in unserem Kontext Kunstwerke - prinzipiell für fast jede Interpretation offen sind und dass die Interpretation somit nur wenig über das im Zeichen (oder Kunstwerk) Gegebene aussagt. Umgekehrt können sich Zeichen und Kunstwerke aber gegen bestimmte Interpretationen wehren, und es ist diese besondere Qualität, in der sich die Eigenständigkeit und Widerstandsfähigkeit des Visuellen zeigt. (0)

 

 

 

 

Fisch, 2008, Holz, 46x13x2 cm
Fisch, 2008, Holz, 46x13x2 cm

 

 

 

Franz Baldo - die plastischen Arbeiten
Konstruktion einer Werkanalyse von Reiner Wille

 

 

In Franz Baldos bildhauerischem Werk dominiert das Material Holz.(1) Der Mensch ist Ausgangspunkt, Stimulanz und Ziel (2) seiner Arbeit, doch im Schaffensprozess selbst schwindet zusehends alles planerische Kalkül.(1) Baldo ruft den Körper stets als Fragment auf, ohne damit Versehrung anzuzeigen.(3) Auf diese Weise gibt er Einblick in den materialbedingten Arbeitsprozess (4) und seine Auseinandersetzung mit der lebendigen Körperlichkeit eines Baumstammes, den Widerständen, die dieser ihm entgegen setzt und seiner eigenen intellektuellen, geistigen und körperlichen Kraft und Fantasie.(5) Die kleinen bis mittelformatigen Skulpturen (1) treten als anthropomorphe Zeichen (4),  als Chiffren des menschlichen Befindens (4) in Erscheinung. Es sind sehr konkrete Gebilde, füllig, handwerklich hergestellt, materiell wirksam.(6) Formfindung scheint mir ein zentraler Begriff für eine Annäherung an das Werk (4) Franz Baldos, obgleich die Titel seiner Arbeiten eine zusätzliche narrative bzw. mythologische Bedeutungsebene (7) eröffnen. Sie führen uns weg vom anthropomorphen Zeichen (3) hin zur Erzählung, Anekdote, Ikonographie der kleinen Leute.(8)

 

 

 

 

 

like - dislike, 2010, Holz, verrottet, 26 x 12 x 6 cm

Die kraftvolle Arbeit aus verwitterndem Holz trägt die Disposition zur Großform in sich.(9) Baldos gestalterische Eingriffe sind minimal. Damit sind wir Zeugen eines Formbildungsprozesses, den der Künstler lediglich initiiert, den das verarbeitete Holz aber aufgrund der ihm eigenen Energie vorantreibt und schließlich vollendet.(4)
Gerüchten zufolge wurde die Holzplastik im vergangenen Jahr als “qualitativ hochwertiger deutscher Facebook-Freund” auf einem Online Auktionsportal versteigert.

 

 

 

 

 

Aletheias kalte Füßchen, 2014, Rinde, geschliffen, 10 x 6 x 1 cm

Mit der Fertigung der Aletheia findet Baldo einen neuen künstlerischen Ausdruck für Leiblichkeit von Skulptur.(4) Die etwa handtellergroße Figur evoziert regelrecht eine Ritualisierung zum Fetisch.(8) Ist man zunächst an kleinformatige Kultgaben (10) der Altsteinzeit erinnert, so tritt doch bald auch der Mythos als Metasprache (7) ins Bewusstsein: 
Aletheia, die Wahrheit, schreitet von dannen, während die von Dolos, dem Betrug, geschaffene Nachbildung ohne Füße nicht von der Stelle kommt.

 

 

Messer 3-5, 2003 - 2013, Holz, diverse Abmessungen

Als Teil des umfangreichen Werkkomplexes “Waffenschrank”  kann den Messern ein größerer Behauptungswille und eine forciertere Aggressivität zugesprochen (2) werden. Mit großer Sensibilität und zugleich schonungsloser Direktheit (5) widmet sich Franz Baldo über viele Jahre schon der Erschaffung dieser  Artefakte.  Spuren der Oberflächenbearbeitung stehen neben belassenen Texturen.(9) Die gestalterische Einfachheit und formale Dichte (5) sind kennzeichnend für Baldos plastisches Werk. Weil aber die Konstruktion von künstlerischer Sensibilität getragen wird, schlägt die Intuition immer wieder durch.(7)

Franz Baldo hat trotz seines jungen Alters bereits ein umfangreiches Werk geschaffen, ein Werk, das immer nur sich selbst meinte und kein darüber hinausweisendes humanes Anliegen verkörperte.(2)
In seinen Arbeiten spiegeln sich Welt und Wirklichkeit als ein lebendiger, Überraschung zulassender Prozess.(4)

 

 

 

 

 


(0) Arie Hartog, Der Haken der Bildhauerei. Alfred Haberpointer, Köln: Wienand Verlag 2011 (1) Justus Jonas, In Bewegung, in sich und über sich hinaus. Wortelkamp. Im Gegenüber - Skulpturen und Papierarbeiten. Museumskatalog Nr.24, Shwäbisch Gmünd: Museum und Galerie im Prediger 2004 (2) Christiane Vielhaber, Franz Bernhard. Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst. Ausgabe 12, München/Bonn: WB Verlag/ Bild-Kunst 1990 (3) Peter Anselm Riedl, Zu den neuen Arbeiten von Franz Bernhard. Köpfe und Figuren - Franz Bernhard, Heidelberg: Cants Verlag 1994 (4) Hans-Jürgen Schwalm, David Nash. Skulpturen, Bielefeld: Kerber Verlag 1997 (5) Andreas Vowinckel, Dialektik der Skulptur: Analyse und Confessio. Katalog zur Ausstellung Erwin Wortelkamp, Karlsruhe: Badischer Kunstverein Karlsruhe 1985 (6) Eugen Gomringer, Jindrich Zeithamml. 3. Triennale Fellbach Kleinplastik, Fellbach: Stadt Fellbach 1986 (7) Timm Ulrichs, Wahre Größe im Kleinen. 3. Triennale Fellbach Kleinplastik, Fellbach: Stadt Fellbach 1986 (8) Manfred Schneckenburger, Fingermaß und Matterhorn. 3. Triennale Fellbach Kleinplastik, Fellbach: Stadt Fellbach 1986 (9) Hans van der Grinten, Franz Bernhard. Ausstellunskatalog, Basel: Galerie Carzaniga & Uecker 1996 (10) Reinhold Hohl, Klein aber fein? Ein doppelter Aufschwung der kleinen Skulptur .3. Triennale Fellbach Kleinplastik, Fellbach: Stadt Fellbach 1986